In unsicheren Zeiten gewinnen klare Hierarchien und autoritäre Strukturen an Beliebtheit, sowohl in politischen als auch wirtschaftlichen Kontexten.
Während moderne Unternehmen in den letzten Jahren vermehrt auf selbstorganisierte Strukturen, Empowerment und eine partizipative Führungskultur gesetzt haben, scheint dieser Ansatz in Krisenzeiten von altbewährten hierarchischen Modellen herausgefordert zu werden. Doch was bedeutet das für Unternehmen, die langfristig auf Eigenverantwortung und agile Strukturen setzen wollen?
Laut einer Studie von McKinsey greifen Menschen in unsicheren Phasen intuitiv zu klaren Strukturen und zentralisierten Entscheidungsmodellen, da sie Stabilität versprechen. Gerade in Krisenzeiten gewinnen hierarchische Systeme an Attraktivität, da sie scheinbar schnelle, eindeutige Entscheidungen ermöglichen – ein Faktor, der in selbstorganisierten Teams oft nur nach intensivem Training zu erreichen ist.
Allerdings zeigen Forschungsergebnisse, dass Unternehmen, die auf langfristige Resilienz und Flexibilität setzen, mit einem Mix aus Empowerment und Führung deutlich erfolgreicher sind. Führungskräfte, die als „Katalysatoren“ agieren und Teams zur Selbstorganisation befähigen, schaffen eine Kultur, die nicht nur in Krisenzeiten belastbar, sondern auch innovationsfähig ist. Denn auch in der Krise gilt: Wenn entscheidungsrelevantes Wissen dezentral verteilt ist, kann die Entscheidung nicht zentral getroffen werden.
In dem 2023 erschienen Artikel beschreibt McKinsey & Company verständlich das "New Leadership for a new era of thriving organizations".
Ein Blick auf die Systemtheorie von Donella H. Meadows zeigt, dass hierarchische Strukturen vordergründig zwar Stabilität, Geschwindigkeit und Steuerbarkeit bieten. Weshalb sie in akuten Krisen - wie beim Löschen eines Großbrandes - das sinnvolle Mittel der Wahl sind.
Jedoch zeigt sich, dass dies oft auf Kosten der Innovationsfähigkeit und Flexibilität geht: Feuerlöscher-Drohnen sind nicht im Kommandoton erfunden worden. Unternehmen, die auf Selbstorganisation und Resilienz setzen, profitieren hingegen klar von adaptiven, dezentralen und schnell agierenden Strukturen. Diese notwendige Resilienz von Organisationen kann jedoch nur erhalten bleiben, wenn - auch und gerade in Krisen - die Balance zwischen Hierarchie und Selbstorganisation gewahrt wird.
Die Zukunft der Führungskultur: Selbstorganisation und klare Verantwortung
Moderne Führungskultur muss lernen, dass die Übernahme von Verantwortung nicht nur eine Frage der Entscheidungsfreiheit ist. Sie erfordert vielmehr die Fähigkeit, kollaborative Prozesse zu fördern und alle relevanten Akteure einzubeziehen. Verantwortung übernehmen bedeutet heute, nicht nur isolierte Entscheidungen zu treffen, sondern die kollektive Intelligenz des Teams zu nutzen und gemeinsam Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln. Führungskräfte agieren hier als Architekten einer Kultur der Eigenverantwortung, der Vernetzung der Know-How-Träger*innen und Selbstwirksamkeit.
Das Resilienzmodell, das auf Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme setzt, erfordert zwar Vertrauen, Offenheit und ganz bewusste Beziehungsgestaltung durch alle Beteiligten, insbesondere durch die Vorgesetzten.
Aber die Mischung aus Selbstorganisation und klarer Verantwortung bietet langfristige Vorteile für die Innovationsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens. Gerade in Zeiten, in denen die Versuchung groß ist, wieder auf autoritäre Modelle zu setzen, bleibt es entscheidend, auf eine Führungskultur zu bauen, die Verantwortung nicht nur nach oben delegiert, sondern im gesamten Team verankert.
Unternehmen, die den Mut haben, diesen Weg zu gehen, schaffen eine belastbare und innovationsfähige Organisation – eine, die sich auch in Krisenzeiten auf die Stärken und das Verantwortungsbewusstsein ihrer Mitarbeitenden stützen kann.
Quelle:
Donella H. Meadows: Thinking in Systems: A Primer. Chelsea Green Publishing 2008